„Lass mich nochmal Dein Gesicht anschauen“ sage ich und nehme ihr Gesicht sanft in die Hand, drehe es in das trübe Licht der Straßenlaterne und zähle nochmal kurz die fünf Glückspunkte in ihrem Gesicht. Alle da.
Sie windet ihren Kopf mit einer Drehung aus meiner Handfläche und sagt „haha, genau! Das nächste Mal wenn Du mich siehst bin ich bestimmt voll braungebrannt.“
Ach Baby! Ich meinte eher weil ich, während du auf einer Insel im verdammten Atlantik die Wellen und gottweisswas noch alles reitest, ich hier die Augen operiert bekommen werde und ich, sollte was schief gehen, vielleicht niemals mehr das glückspunktgesprenkelte Gesicht des schönsten Mädchens der Welt blicken werde. Aber das blickst Du nicht. Schön, dass Deine Gedanken zuerst mal deinem Teint gelten. Denke ich mir, seufze, sage es aber nicht.
In den letzten Wochen, seit wir uns getrennt hatten, bestand mein Alltag aus dem üblichen Dreiklang: Zuwenig Schlaf, zuviele Zigaretten und vielzuviel Alkohol. Wenn ich Schlaf finden konnte, wurde ich von Albträumen und Dämonen heimgesucht. David Lynch ist dagegen Drehbuchautor für die Sendung mit der Maus.
Der zertrümmerte-Herzen-Blues. Gebrochen ist für Anfänger.
Und die Dominante dieser Akkordfolge ist wohl der Alkohol.
Zu dem Open Air Konzert, zu dem wir uns kurz vor ihrer Abreise zu einem fünfwöchigen Urlaub verabredeten, erscheine ich jedoch stocknüchtern. Ich hätte mich vor Aufregung sicherlich nach dem ersten Schluck schalen Leichtbieres aus einem ranzigen Plastikbecher übergeben müssen. Entsprechend verkrampft war ich dann als ich ihr kurz vor dem Eingang zum Gelände entgegenzögerte. Zögerlich auch unsere Begrüßung. Nicht so unterkühlt wie befürchtet, war aber schon mal herzlicher.
Unfassbar gut sah sie aus. Das kastanienbraune Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, die Nerdbrille, die sie manchmal wie die bessere Besetzung für Simon Chipmunk erscheinen lässt, wenn denn die Rollenbeschreibung süß, smart und sexy vorsah, Klamotten, stylish genug um sie verdammt cool wirken zu lassen, aber auch nicht so over the top fashy, dass man sie für ein Urban Outfitters-Opfer halten konnte.
Mein Mädchen. Früher. Das schönste Mädchen der Welt. Immer noch.
Verabredet hatten wir uns weil die wechselseitigen Annäherungsversuche der letzten Wochen an unserem unvergleichlich beschissenen Timing gescheitert waren. Jeder zaghafte Schritt des Einen wurde vom Anderen geblockt wie zu Shaq’s besten Zeiten. Dieses Wechselspiel ging munter hin und her bis wir kurz vor ihrem Abflug doch einen gemeinsamen Konzertbesuch für eine wenigstens akzeptable Option hielten. Ein lauer Sommerabend in der Stadt, in der quasi entmilitarisierten Open-Air-Zone.
Nach der Hälfte des Konzertes, gingen wir dann doch lieber noch irgendwo was trinken. Nicht einmal Nirvana in der Originalbesetzung hätte meine Aufmerksamkeit länger als 5 Sekunden am Stück auf die Bühne lenken können. Dann lieber vis-a-vis. Mit dem schönsten Mädchen der Welt und meinen Dämonen fand ich mich wenig später an einem 2er Tisch vor einem Cafè wieder. Also kein Platz für die Dämonen – die müssen hier draußen bleiben.
Die Unterhaltung wurde zunehmend gelöster und man hätte uns, wenn nicht für ein Paar, zumindest für sehr gute Freunde halten können.
Natürlich kam mir nichts von all dem was ich ihr wirklich sagen wollte über die Lippen. Für den Augenblick war dies hier aber mehr als ich mir wünschen konnte. Es waren also noch nicht alle Brücken zwischen uns zerstört und noch nicht jeder Quadratmeter Territorium auf dem wir uns früher gemeinsam, leichtfüßig bewegt hatten verbrannt. Ist ja auch schon mal was.
Auf dem Weg zur U-Bahn im Anschluss sprachen wir natürlich auch über ihre Reise, dass sie die mehr als dreitausend Kilometer Abstand nutzen wollte um sich über ihr Leben, sich selbst und vielleicht ja auch über uns klar zu werden. Klar wie die Atlantikluft.
Unter der Straßenlaterne, nachdem ich noch einen kurzen Blick auf die Punkte, die für mich die Welt bedeuten, werfen konnte, trennen sich unsere Wege.
Vielleicht ja nur für 5 Wochen.
Wir werden sehen. Inzwischen kann ichs ja besser.